Tag der Menschenwürdigen Arbeit

„Decent Work“ und Soziale Unternehmen

Menschenwürdige Arbeitsbedingungen weltweit – diesem Ziel hat sich die ILO, die Internationale Arbeitsorganisation der Vereinten Nationen, mit der Verabschiedung ihrer „Decent Work Agenda“ im Jahr 1999 fest verschrieben. Anlässlich des Internationalen Tages des menschenwürdigen Arbeit möchten wir am 7. Oktober 2023 genau hinschauen, was „Decent Work“ im Kontext der Arbeitsfelder Sozialer Unternehmen bedeutet. Wir richten unseren Blick auf jenen Aspekte, in denen die Mitglieder im Netzwerk von arbeit plus vielleicht sogar zu den Vorreiter:innen zählen, wenn es darum geht, das Menschenrecht auf menschenwürdige Arbeit umzusetzen, aber auch dorthin, wo es gilt, noch besser, noch menschenwürdiger zu werden.

Denn eines steht fest: Soziale Unternehmen fühlen sich sowohl den in der UN-Charta festgeschriebenen Menschenrechten (und hier insbesondere Artikel 23) als auch den Sustainable Development Goals (SDGs) der Vereinten Nationen grundlegend verpflichtet. Aus der tagtäglichen, praktischen Erfahrung in den Sozialökonomischen Betrieben, den Gemeinnützigen Beschäftigungsprojekten und Beratungs- und Qualifizierungseinrichtungen wissen wir, dass „Decent Work“ einer der wesentlichen Schlüssel zur Umsetzung der Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung ist. Das Entwicklungsziel 8 („Nachhaltiges, integratives Wirtschaftswachstum, Vollbeschäftigung und menschenwürdige Arbeit“) und weitere arbeitsrelevante Aspekte, die in die restlichen 16 SDGs eingebettet sind, gehören zu den Kernaufgaben Sozialer Unternehmen.

Doch wie können Soziale Unternehmen die vier Säulen der ILO-Agenda für menschenwürdige Arbeit – Beschäftigung, sozialer Schutz, Rechte bei der Arbeit und sozialer Dialog – in ihren unterschiedlichen Tätigkeitsfeldern umsetzen?

Hindernisse aus dem Weg räumen, um fairen Zugang zu Beschäftigung zu schaffen: #BeratungWirkt

Zugang zu Beschäftigung zählt wohl zu den augenscheinlichsten Verbindungen zwischen dem Engagement Sozialer Unternehmen und den ILO-Zielsetzungen, auf die wir anlässlich des Tages der menschenwürdigen Arbeit verweisen möchten. – Ist es doch eine der grundlegende Aufgaben aller Mitgliedsunternehmen im Netzwerk von arbeit plus, vom Arbeitsmarkt benachteiligte Menschen dabei zu unterstützen, im Arbeitsmarkt Fuß zu fassen und Zugang zu Beschäftigung zu haben. „Gute Arbeit für Alle“ lautet einer unsere Leitsätze. Um das zu ermöglichen, bedarf es häufig des Abbaus von vorgelagerten Hindernissen und Problemlagen, die eine Arbeitsaufnahme verhindern: mangelnde Sprachkenntnissen oder mangelnde formale Bildung und Qualifikationen, psychische oder physische gesundheitliche Herausforderungen, Schulden, Gewalterfahrungen, fehlende Kenntnis der Perspektiven … Besonders Langzeiterwerbsarbeitslose sehen sich häufig mit multiplen Problemlagen konfrontiert. All diesen Hemmnissen – die sich besonders angesichts der Covid-19 Pandemie, aktueller geopolitischer Dynamiken, Teuerungen, etc. häufen – gilt es, adäquat zu begegnen, bevor eine Arbeitsaufnahme überhaupt erst denkbar ist. 10 der 31 Sozialen Unternehmen im Netzwerk von arbeit plus Niederösterreich sind sogenannte BBEs, also Beratungs- und Betreuungseinrichtungen. Sie begleiten Menschen, die bei ihnen Unterstützung suchen durch psychosoziale, prozessorientierte, ergebnisoffene Beratung. Denn nur wer hinlänglich über Perspektiven und Möglichkeiten informiert ist, wer Unterstützung bei der Stabilisierung seiner Lebenslage erfährt, kann „job-ready“ sein.

Produktivität, faire Entlohnung, Vereinbarkeit und Gleichstellung

Die Zielsetzung Angemessene Löhne und produktive Arbeit versuchen Soziale Unternehmen dahingehend umzusetzen, dass sie dass sie Konzepte von Produktivität hinterfragen, und – in Abweichung von der ILO, die Produktivität stets an Wirtschaftswachstum koppelt – vor allem sozial nachhaltige Ergebnisse als Maßstäbe ihrer Produktivität heranziehen.

Mitarbeiter:innen Sozialer Unternehmen, die durch ihre Tätigkeit im Sozialen Unternehmen wieder an den Arbeitsmarkt herangeführt werden sollen, werden gemäß des SWÖ Kollektivvertrags entlohnt. Die sogenannten „Transitarbeitskräfte“ erhalten während ihrer zeitlich befristeten Tätigkeit im Sozialen Unternehmen psychosoziale Unterstützung und Hilfestellung bei der Arbeitsuche.

Ähnlich verhält es sich mit dem breiten und essenziellen Zielen von Vereinbarkeit von Beruf, Familie und Privatleben. Vereinbarkeit bezieht sich dabei nicht nur auf Beruf und Kinderbetreuung, sondern in zunehmendem Maße auch auf Aus- und Weiterbildung sowie die Pflege von Angehörigen. Soziale Unternehmen sind bestrebt, Modelle zu entwickeln, die sich an den unterschiedlichen Lebensphasen der Mitarbeitenden orientieren und deren Work-Life-Balance fördern. Sie verstehen sich als Innovationslabore neuer Arbeitszeit- und Arbeitsorganisationsmodelle – was wiederum häufig schwer mit Rahmenvorgaben von Fördergeber:innen in Einklang zu bringen ist. „Aktives Karenzmanagement, neue Leadership Modelle oder die Nutzung neuer Technologien zielen auf eine gesteigerte Work-Life-Balance ab. Die Erfahrung in Sozialen Unternehmen zeigt, dass dies zu höherer Motivation und Arbeitszufriedenheit beiträgt und die Produktivität steigert“, weiß arbeit plus Österreich Vorstandsvorsitzende Manuela Vollmann.

Zudem wird in den Sozialen Unternehmen versucht, Arbeitszeiten derart zu gestalten, dass sie mit den Lebensrealitäten der Mitarbeiter:innen in Bezug auf Care-Arbeit, Mobilität, etc. vereinbar sind.

Auch das Streben nach Chancengleichheit und Gleichbehandlung ist fest in der DNA Sozialer Unternehmen verankert. Während menschenwürdige Arbeit und Menschenrechte für alle Menschen überall gewährleistet werden müssen, gibt es Gruppen von Menschen, die besonderer Aufmerksamkeit bedürfen, da sie sich mit Diskriminierung konfrontiert sehen. Beispielsweise müssen sich Frauen weltweit nach wie vor am Arbeitsplatz mit anhaltenden Ungleichheiten in Bezug auf Gehalt (und in Folge Pensionen) , Entwicklungschancen sowie Gesundheits- und Sicherheitsaspekten befassen. Besonders jene Projekte im Netzwerk von arbeit plus Niederösterreich, die sich gezielt an Frauen richten, versuchen diesen Ungleichheiten entgegenzuwirken. Sie informieren Frauen über ihre Rechte, empowern sie mit Wissen, brechen stereotype Rollenklischees in Bezug auf Berufswahl auf und unterstützen mit Qualifizierungsangeboten, etwa im Bereich der Digitalisierung (Migrantin goes online, Digi +, etc.). Somit tragen sie auch zur Umsetzung des Zieles der freien Berufswahl bei.

Globale Kreise ziehen

Das Ziel der Abschaffung von Kinderarbeit und Zwangsarbeit mag auf den ersten Blick außerhalb des Einflussbereichs Sozialer Unternehmen in Niederösterreich zu liegen – aber mit Initiativen im Sinne einer ökologisch und sozial nachhaltigen Kreislaufwirtschaft, durch regionale Produktion und durch das Aufbrechen globaler Lieferketten können auch wir, ausgehend von ganz lokaler Ebene, globale Kreise ziehen und somit zur Eindämmung von Kinder- und Zwangsarbeit beitragen.

Gesundes Arbeitsumfeld

Um zur Umsetzung des Ziels Sicherheit am Arbeitsplatz beizutragen, gibt es zahlreiche Initiativen in den Sozialökonomischen Betrieben und Gemeinnützigen Beschäftigungsprojekten selbst, aber auch auf Ebene des Landesnetzwerkes: So bot arbeit plus Niederösterreich erst kürzlich einen Workshop für Arbeitsanleiter:innen an, in dem es darum ging, ihre Resilienz zu stärken und ihnen einen gesunden Arbeitsalltag – im Spannungsfeld steigernder Belastungen seitens ihrer Klient:innen, sich verschärfender Rahmenbedigungen (etwa steigende bürokratische Herausforderungen im Berichtswesen gegenüber den Fördergeber:innen), etc. – zu ermöglichen. Zahlreiche unserer Mitglieder setzen regelmäßig Maßnahmen zur betrieblichen Gesundheitsförderung um: So versorgt etwa unser Mitglied Schmiede – Zukunft und Arbeit die Mitarbeiter:innen regelmäßig mit einer gesunden Jause aus der Ernte des ökologischen Gemüsebeets, das etwa im Rahmen eines gartenpädagogischen Projekts „Früchte trägt“.

Gute Arbeit für Alle

Wirtschaftliche und soziale Rahmenbedingungen für menschenwürdige Arbeit zu schaffen, ist ein weiterer, eigentlich grundlegender Punkt im Zielekatalog zur Schaffung menschenwürdiger Arbeitskonditionen, oder – wie wir es gerne formulieren – „Guter Arbeit für Alle“. Als Dachverband und Interessensvertretung unserer Mitgliedseinrichtungen sehen wir uns verpflichtet, uns auf unterschiedlichen politischen, wirtschaftlichen und sozialen Ebenen für bessere Rahmenbedingungen einzusetzen.

Seitens unserer Zielgruppen sind die großen Steine, die am Weg zu existenzsichernder Erwerbsarbeit oft im Weg liegen mangelnde Kinderbetreuungs- und Care-Angebote, fehlende niederschwellige Bildungsangebote oder Mobilitätsarmut, die wir im Austausch mit Entscheidungsträger:innen nicht müde werden, zu adressieren.

Aktive Arbeitsmarktpolitik erweist sich als probates Mittel, das der Agenda 2030 in allen Belangen im Kontext von Arbeit zuträglich ist. Besonders in Zeiten, in denen sich bereits eine Trendumkehr bei den Beschäftigungsquoten und ein Anstieg von Arbeitslosigkeit abzeichnet, gleichzeitig aber gut etablierte Strukturen Aktiver Arbeitsmarktpolitik massiv von budgetären Kürzungen bedroht sind, ist es uns ein dringliches Anliegen, auf die tragende Rolle, die Soziale Unternehmen zur Erfüllung des SDGs 8 spielen (können), zu verweisen. Um weiterhin dabei zu unterstützen, beispielweise in Kooperation mit Städten und Gemeinden regionale und lokale Wirtschaftskreisläufe zu fördern, um Jugendliche beim Jobeintritt zu unterstützen, Frauenbeschäftigung und die Erwerbsintegration Älterer zu erhöhen, Green Skills zu vermitteln um der Nachfrage im Bereich klimarelevanter „Green Jobs“ gerecht zu werden, um demographisch bedingten Anforderungen (Landflucht, etc.) zu begegnen und um Antworten auf Teuerung, Inflation, Armutsgefährdung und Prekarisierung zu entwickeln sind wir dringend auf unsere Kooperationspartner:innen angewiesen.

Um vom Arbeitsmarkt benachteiligte Menschen auch weiterhin bestmöglich zu unterstützen und um auf die Lebensrealitäten dieser Menschen adäquat eingehen zu können, brauchen die Sozialen Unternehmen entsprechende Rahmenbedingungen, die Planungssicherheit und die Weiterentwicklung innovativer Ansätze ermöglichen“, so arbeit plus Niederösterreich Geschäftsführerin Maria Nirnsee anlässlich des Tages des menschenwürdigen Arbeit 2023.

arbeit plus Österreich Geschäftsführerin Sabine Rehbichler appelliert an die Bundesregierung, die sich der Umsetzung der Agenda 2030 und der Menschenrechtscharta der Vereinten Nationen verpflichtet hat: „Aktive Arbeitsmarktpolitik ist ein probates Mittel, um ‚menschenwürdige Arbeit‘ für benachteiligte Menschen hier in Österreich zur Realität werden zu lassen. Um dieser Zielsetzung beizusteuern, brauchen Soziale Unternehmen ausreichende finanzielle Mittel und (Planungs-)Sicherheit anstelle drohender Kürzungen.“

Veranstaltungshinweise:

Salzburg, 5.10.23, FORUM 1

Innsbruck, 6.10.23, Sillpark


weiterführende Links:

Aktionsplan zur europäischen Säule sozialer Rechte

Agenda für menschenwürdige Arbeit (IAA: Decent Work (Bericht des Generaldirektors), Internationale Arbeitskonferenz, 87. Tagung, Genf, 1999)

Länderprofil Menschenwürdige Arbeit in Österreich (Internationale Arbeitsorganisation, 2009)

Decent Work – Gute Arbeit (Gurny, 2011)

Decent Work Toolkit

Nachhaltige Entwicklung – Agenda 2030 / SDGs (BKA)

Sujetbild © arbeit plus Salzburg