Kahlschlag der Aktiven Arbeitsmarktpolitik in Niederösterreich

Flyer mit "Soziale Unternehmen sind die kritische Infrastruktur der Aktiven Arbeitsmarktpolitik", arbeit plus NÖ Logo und Foto von gestapeltem Anzündholz

arbeit plus – Soziale Unternehmen Niederösterreich
Stellungnahme zu den Ankündigungen einer „neuen Arbeitsmarktstr
ategie“ in NÖ

Soziale Unternehmen unterstützen seit mehr als 35 Jahren (Langzeit-)Erwerbsarbeitslose durch Beschäftigung, Beratung und Qualifizierung beim Wiedereinstieg in den Arbeitsmarkt. Sie stellen gewissermaßen die arbeitsmarktpolitische „kritische Infrastruktur“ dar und dienen dem Gemeinwesen.

Soziale Unternehmen am Puls der Regionen

Die 31 Unternehmen im Netzwerk von arbeit plus Niederösterreich haben sich zum Großteil aus Initiativen Aktiver Arbeitsmarktpolitik, die sich an regionalen Bedarfen orientiert, zu wichtigen Arbeitgeber:innen für vulnerable Gruppen und zu Kooperationspartner:innen für die lokale Wirtschaft entwickelt. Basierend auf ihrem – oft über Jahrzehnte hinweg erworbenen – Fachwissen bereiten sie Menschen darauf vor, als Arbeitskräfte in regionale Betriebe einzusteigen, sie begleiten und unterstützen sie im Überwinden von Hindernissen. Im Rahmen der Netzwerke arbeit plus Niederösterreich und ASN zeichnen sie sich – insbesondere aufgrund des Qualitätssicherungssystems QUASI – durch ein hohes Maß an Qualität, Engagement und Professionalität aus und sind stets bestrebt, sich weiterzuentwickeln.

Arbeitsmarktstrategische Weichen werden in NÖ ab 2024 neu gestellt

Die Budgetverhandlungen für das AMS auf Bundesebene laufen noch, eine neue  „Arbeitsmarktstrategie“, die gravierende Einschnitte bei  Sozialen Unternehmen in Niederösterreich mit sich bringt, wurde allerdings bereits an die Projektträger kommuniziert: Bei den Beschäftigungsprojekten (d.h. Sozialökonomischen Betriebe mit und ohne Arbeitskräfteüberlassung sowie Gemeinnützigen Beschäftigungsprojekten) steht eine Streichung von knapp 200 Transitarbeitsplätzen im Raum, das bedeutet nahezu 1/3 aller momentan bestehenden Plätze. Unter diesen Gegebenheiten müssten 3 Soziale Unternehmen per Jahresende den Betrieb gänzlich einstellen, weitere ihre Tätigkeiten massiv einschränken. Diese Entwicklungen treffen die Sozialen Unternehmen unerwartet und plötzlich, stellen sie vor immense Herausforderungen und entziehen vielen die Existenzgrundlage.

Während bestehende Strukturen beschnitten werden, sollen andernorts neue Projekte im Bereich der geförderten Beschäftigung aufgebaut werden. In einem dynamischen Arbeitsmarkt, der gerade heute stetige Veränderungen mit sich bringt, fallen sie dem Wunsch nach Normierung zum Opfer.

Unabhängig von einer – im österreichweiten Vergleich – relativ niedrigen Arbeitslosenquote von 5,3 % – erleben wir in der tagtäglichen Arbeit von Beratungseinrichtungen, Sozialökonomischen Betrieben und Gemeinnützigen Beschäftigungsprojekten, dass genau jene Menschen, die jetzt Unterstützung suchen, diese in hohem Ausmaß benötigen. Denn sie sind multipel belastet: Teuerung, psychische Belastungen u.a. als Folgeerscheinungen der Pandemie, physische Erkrankungen, existenzielle Sorgen, oder strukturelle Hürden, wie Care-Verpflichtungen oder Mobilitätsarmut. Diese Menschen brauchen  jetzt MEHR und nicht WENIGER Unterstützung! Diese erhalten sie u.a. in niederschwelligen Beratungs- und Betreuungseinrichtungen, wo psychosoziale, prozessorientierte Beratung in Anspruch genommen werden kann. Aber auch diese BBEs sind massiv bedroht: die Auswirkungen reichen von gänzlichem Förderstopp, über die Reduktion finanzieller Mittel von 15% bis hin zu 67%! 

Lt. WIFO Prognose[1] weisen Dynamiken in Wirtschaft und Arbeitsmarkt immer stärker in Richtung Verschlechterung. Jetzt langjährig erprobte Strukturen herunterzufahren, erscheint als kurzfristig gedacht und nicht nachhaltig.

Apropos Nachhaltigkeit

Wurde erst kürzlich die Notwendigkeit von niederschwelligen Qualifizierungen im Bereich der klimarelevanten Jobs und der dringliche Bedarf an Green Skills – u.a. seitens des AMS aber auch des Arbeitsministers – betont, sind nun genau jene Sozialen Unternehmen, die in diesen Bereichen tätig sind, in Gefahr. Und das, obwohl sie eine aktive Rolle in der „grünen Transformation“ spielen können, wie sie oft schon seit Jahrzehnten als Pionier:innen der Kreislaufwirtschaft unter Beweis stellen und wie Studien[2] belegen: Soziale Unternehmen unterstützen arbeitsmarktferne Personen dabei, sich für die Green Jobs der Zukunft zu qualifizieren und bieten ihnen erste praktische Erfahrungen in diesen Bereichen an, sei es in der ökologischen Landwirtschaft, der Abfallwirtschaft oder anderen Bereichen.

Frauenprojekte in Gefahr

Selbst Projekte, die sich dafür einsetzen, strukturelle Benachteiligung von Frauen zu verringern und ihnen den (Wieder-) Einstieg bzw. Neu-Orientierung am Arbeitsmarkt zu erleichtern, sind stark von Kürzungen bedroht.

„Das Abdrehen von Projekten, die sich gezielt an Frauen richten, ist widersinnig, zumal es doch ein dezidiertes Ziel Arbeits- und Wirtschaftsministers ist, die Frauenbeschäftigung zu heben und somit dem Arbeitskräftemangel entgegenzuwirken“, zeigt sich arbeit plus NÖ Geschäftsführerin Maria Nirnsee irritiert. „Solange strukturelle Hürden, wie mangelnde Care-Angebote, nicht abgebaut und Gleichstellung nach wie vor in weiter Ferne liegt, braucht es Initiativen, die Frauen in den Regionen gezielt fördern, um ihnen Selbstermächtigung, Pensionsvorsorge und ein Leben ohne Armut zu ermöglichen.“

Auswirkungen auf Unternehmen und Regionen

Die massiven Einsparungen haben weitreichende Auswirkungen auf die Arbeit der gemeinnützigen Sozialen Unternehmen. Denn sie sind auch Arbeitgeber:innen des Stammpersonals (aktuell mehr als 350 Personen), wie Sozialarbeiter:innen und Arbeitsanleiter:innen, sowie der Transitarbeitskräfte. Darüber hinaus orten Soziale Unternehmen konkrete Bedarfe in Gemeinden und reagieren mit innovativen Angeboten. Sie schaffen sozialen Mehrwert und werten die Regionen auf, indem sie sie lebenswerter machen.

Das Café im lebmit & bunttex Laden ist hoch frequentiert von Menschen, die Ansprache suchen. Hier können sie Lebensmittel einkaufen, zu fairen Preisen einen Kaffee trinken und mit Nachbar:innen plaudern. Somit entgehen sie Vereinsamung und sozialer Isolation. Der Nahversorgungsbetrieb ist auch für Anrainer:innen mit eingeschränkten Mobilitätsmöglichkeiten gut erreichbar. Unser Second Hand Shop bietet einkommensschwachen Familien die Möglichkeit, sich einzukleiden, Schultaschen für ihre Kinder und Geschenke für Weihnachten zu besorgen,“ wissen Sabine Jeram-Neumann und Michaela Holzschuh, die Leiterinnen des Frauenprojekts in Gmünd.

Facettenreich

Die Landschaft der Sozialen Unternehmen in Niederösterreich stellt sich seit Beginn der Aktiven Arbeitsmarktpolitik an als ein buntes Mosaik dar. Dies hat sich bewährt, zumal es im facettenreichen Flächenbundesland unterschiedliche demographische, geographische und wirtschaftliche Faktoren zu berücksichtigen gilt. Projekte, die in die Regionen passen und auf die jeweiligen Bedarfe reagieren können, haben sich – abseits von Normierungstendenzen – bewährt und bleiben notwendig.

Mühevoll aufgebaute Perspektiven

Mühevoll aufgebaute Perspektiven vormals Langzeiterwerbsarbeitsloser werden bedrohlich eingeschränkt. Es trifft Zielgruppen, die ohnehin bereits mit multiplen Belastungen zu kämpfen haben. Tendenzen, wie etwa eine steigende Zahl an jungen Menschen, die über keine abgeschlossene Ausbildung verfügen und noch nie gearbeitet haben, kann nicht begegnet werden.

Die Aktive Arbeitsmarktpolitik in Niederösterreich darf nicht kaputtgespart werden. Denn die Rechnung bezahlen langzeitarbeitslose Menschen, vulnerable Gruppen und letztlich regionale Strukturen und die gesamte Gesellschaft“, warnt arbeit plus NÖ Geschäftsführerin Maria Nirnsee.

arbeit plus Niederösterreich appelliert daher an die Entscheidungsträger:innen:

  • Setzen wir alles daran, etablierte Soziale Unternehmen im Bereich der Aktiven Arbeitsmarktpolitik weiter zu fördern. Sie haben ihre tragende Rolle in den im Regierungsprogramm verankerten Bestrebungen im Kampf gegen Klimawandel und Armut sowie für mehr soziale Sicherheit unter Beweis gesteht und sind bereit, dies auch weiterhin zu tun.
  • Die Erschließung neuer Finanzierungsmöglichkeiten und ressortübergreifender Initiativen auf Bundes-  und Landesebene ebenso wie auf  Ebene der Städte und Gemeinden – um bestehende, gut funktionierende Strukturen nachhaltig zu sichern.
  • Die Sozialen Unternehmen stehen gerne für weiteren Dialog bereit. Sie haben in der Vergangenheit, u.a. während den herausfordernden Zeiten der Pandemie, bewiesen, dass die flexibel, zielgerichtet und innovativ auf sich verändernde Bedarfe und Zielgruppen reagieren können.
  • Wird die neue Arbeitsmarktstrategie in NÖ umgesetzt, verlieren de facto 65 qualifizierte Mitarbeiter:innen in Sozialen Unternehmen ihre Arbeit, knapp 200 Transitarbeitsplätze (in Sozialökonomischen Betrieben, Gemeinnützigen Beschäftigungsbetrieben und bei Gemeinnützigen Arbeitskräfteüberlassern) gehen verloren und mehr als 3.500  Personen wird die Chance auf beratende Unterstützung bei der Reintegration in den Arbeitsmarkt genommen. Das gilt es – im Sinne der Armutsbekämpfung – zu verhindern!

Stand: 3. Oktober 2023, Änderungen vorbehalten

Rückfragehinweis:

Dr.in Martina Könighofer
martina.koenighofer@arbeitplus.at
mob: +43 676 88 044 887


[1] https://www.wifo.ac.at/news/schwaches_wachstum_bei_hoher_unsicherheit

[2] Aktuell belegt etwa die Studie von Julia Bock-Schappelwein et.al. „Arbeitsmarktpolitische Maßnahmen im Hinblick auf die Ökologisierung der Wirtschaft – Ökojobs gegen Arbeitslosigkeit?“, die von WIFO und abif im Auftrag des AMS Wien 2023 durchgeführt wurde, die Potentiale in der Verknüpfung aktiver Arbeitsmarktpolitik mit der Ökologisierung der Wirtschaft
www.ams-forschungsnetzwerk.at/downloadpub/2023_WIFO_abif_oekojobs_Endbericht.pdf

Flyer mit "Soziale Unternehmen sind die kritische Infrastruktur der Aktiven Arbeitsmarktpolitik", arbeit plus NÖ Logo und Foto von gestapeltem Anzündholz